Einen wunderschönen guten Morgen und herzlich willkommen zu Woche Numero Zwei, mein hübscher, frischrasierter Bruder/meine bezaubernde, aufwendig frisierte Schwester!

So gefällt mir das. Wenn die Woche mit Elan beginnt! Bravo!

Was machen wir heute? Verändern wir die Welt? Verbreiten wir die Liebe? Sorgen wir dafür, dass diese Welt zu einem besseren Ort wird? Oder ist die Welt ohnehin bereits ein „besserer“ Ort und die Aufgabe besteht lediglich darin, das zu erkennen?

Ich kenne die Antwort nicht.

Herzlich willkommen und vielen Dank fürs Reinschauen!

 

Und da ich gestern aufgrund meiner Müdigkeit und den Nachwirkungen des Trancezustandes mit der brasilianischen Stiermaske den „Fakt zum Tag“ vergessen habe, gibt es für den Heutigen gleich zwei Stück:

Fakt zum Tag: 1750 löst in den österreichischen Ländern der Konventionstaler den bisher geltenden Reichstaler ab.

Fakt zum Tag: 1785 wird in Wien die von Kaiser Franz Joseph II. gestiftete Medizinisch-Chirurgische Akademie Josephinum im heutigen Gemeindebezirk Alsergrund ihrer Bestimmung übergeben.

Gut. Dann hätten wir das auch geklärt.

Ich für mein Teil bin heute ein weiteres Mal an der Aufgabe namens „Realität“ gescheitert. Was ich damit meine? Nun: Ich habe seit einer gottverdammten Woche EINE Aufgabe. EINEN einzigen Task, nämlich: Wasser, Servietten und Ohrenwattestäbchen im Supermarkt zu kaufen.

Tatsächlich habe ich es endlich in den Supermarkt geschafft. Eine beachtliche Leistung! Ich bin den Orks an der Schiebetür entkommen, habe die Rätsel der sorgfältig geschlichteten Regale gelöst und tatsächlich auch den Endgegner, die dreiköpfige Kassiererin, besiegt.

Beinahe hätte ich auch den Schatz erbeutet.

Aber man kann nun einmal nicht zu viel von mir verlangen. Wasser? Geschafft. Wattestäbchen? Vergessen. Servietten? Ich wurde getäuscht und ergatterte stattdessen (wie sich später herausstellte) Speibsackerl aus Papier.

WAS ZUM ARSCH stimmt nicht mit dir, Raptis?

Man bringe ihm eine Haushälterin.

Man bringe ihm ein Hirn.

Man bringe ihm Realität.

Man verpasse ihm eine Ohrfeige.

Hach, ja. Supermärkte. Eine eigene Welt. Als Kleinkind bin ich jedes Mal voller Euphorie gewesen, wenn meine Eltern mich in den riesigen Supermarkt mitnahmen und ich im Sitz des stählernen Einkaufswagens Platz nehmen durfte. Ich erinnere mich genau an das Gefühl des exklusiven Fahrzeugs, an die dünnen Gitterstäbe, an das Plastikteil, in das man die Münze reinschiebt und sie, so hart man es auch versucht, nicht rausbekommt, bevor man den Wagen am Ende des Einkaufs wieder an seine Genossen angeschlossen hat. Ich erinnere mich sogar an den Geruch der Einkaufswägen.

Eigenartig.

Keine Ahnung warum, aber aus irgendeinem Grund, wette ich, dass du GANZ GENAU weißt, wovon ich spreche! *lacht* Hab ich recht? Kommentier mit „Aye“, falls ja und mit „Luf“, wenn dem nicht so ist.

Und dann begann das Abenteuer! Das Coolste: Man musste einfach nur dasitzen und genießen. Denn der Vater hätte den Wagen einfach geschoben und die Einkäufe getätigt und man Selber hätte sich mit weitaufgerissenen Augen voller Staunen in Farben und Gerüchen wiedergefunden. Es war eigentlich ein meditativer Prozess!

Mann, waren das schöne Zeiten.

Da gab es den Dschungel aus Obst und Gemüse, wo hinter jeder Ecke ein Panther oder Dinosaurier lauern konnte. Die karge Steppe der Keksabteilung! Die Eiswüste der Gefrierfächer, wo Garnelen und Fischfilets einen ausdruckslos musterten. Die Wursttheke! Ja, das war IMMER ein Paradies für den kleinen Abenteurer! Ausnahmslos jedes Mal wurde mir eine Scheibe Lyoner verabreicht, das werde ich niemals vergessen. Ich liebte dieses Zeug.

Genüsslich kauend, nahm man dann die grellen, künstlichen Lichter in sich auf, die einen irgendwie in einen Trancezustand versetzten. Man inhalierte den undefinierbaren Geruch des Supermarktes, hörte dem beständigen Piepen der Schalter zu. Mitunter erklang eine Stimme in der Anlage und sagte irgend sowas Absurdes wie: „Schalter Drei bitte melden.“ Oder so in die Richtung.

Dann wurden die Lebensmittel aufs Fließband gelegt und man wurde Opfer des hochmanipulativen Marketing-Gags: Man wollte eine der Pralinen oder eines der Bonbons, die in den Regalen beim Fließband, kurz vor dem Verlassen des Paradieses, angepriesen wurden.

Ich tappe nach all den Jahrzehnten tatsächlich immer noch in diese raffinierte Falle. Nur kannst du Schokolade mit Minifläschchen Jägermeister und Bonbon mit Minifläschchen Vodka ersetzen.

Diese Falle ist tückisch!

Mann. Das war vielleicht grad ein Erlebnis! Eine Reise in die Vergangenheit.

Können wir es schaffen? Können wir es schaffen, diesen Zustand zu reproduzieren? Ich meine, ganz natürlich! Ohne LSD oder eine schamanische Reise. Ist es möglich?

Ich sage: Ja! *Heroische Musik*

Ich glaube an die Rückkehr zur Unschuld! Ich glaube sogar, dass es KEINE andere Möglichkeit gibt.

Dieses Thema ist sehr tiefgehend.

Ich kann natürlich nur aus meiner Sicht sprechen. Zum Beispiel hat es auch mit meinem Beruf zu tun. Klar: Erfahrung, Wissen und professionelle Exekution sind sehr wichtig auf der Bühne. Aber was ist mit… der Essenz?

Ich behaupte, es wird kein glaubwürdiger Ton aus deinem Instrument kommen, wenn du, während du ihn spielst, nicht zurückkehrst. Wohin? Zum Moment! *feierliches-in-die-Hände-klatschen*

(Siehe Tag 5 letzter Woche.)

Dies ist eine Gabe, mit der wir zu Beginn unseres Lebens gesegnet sind, sie paradoxerweise jedoch mehr und mehr verlieren, bis im Erwachsenenalter schließlich keine Spur mehr davon übrig ist: Achtsamkeit, Unschuld, Neugierde und das Verschmelzen mit dem Moment.

Dorthin zurückzukehren, ist mein einzig‘ Bestreben. Dorthin zurückzukehren, bedeutet, dass man aufhört vorzutäuschen und beginnt zu sein. Und bevor dieser Prozess nicht stattgefunden hat, so denke ich, wird ein Künstler maximal mittelmäßig sein.

Doch das braucht uns nicht abzuschrecken!

Zurück zum Thema: Achtsamkeit, Demut und Respekt. Rückkehr zur Unschuld, in ein Stadium der tabula rasa, in einen Bewusstseinszustand, der NICHT urteilt. Das Denkende Ich existiert nicht länger, es gibt nur mehr den Moment und das bedingungslose Lieben. Wir bestehen nur mehr aus Licht und Liebe, um es geschwollen auszudrücken.

Dies – dies! – ist mein einzig‘ Bestreben.

Als sie Eric Clapton fragten, was er beim Spielen denn tue, antwortete er lediglich, er habe keine Ahnung, er spiele einfach.

Wow! Das ist unfassbar groß!

Hör dir an, was diese Männer zu sagen haben. Gib dir zum Beispiel Santana oder Steve Vai, gib dir Paco, wie er EINS ist mit seinem Instrument ist. Faszinierend, oder?

Ich denke, abgesehen von der Arbeit, die 24/7 abgezogen wurde und worüber wir gar nicht erst sprechen müssen, da das offensichtlich ist, hat noch ein Faktor mitgespielt, der die wirklich Guten dorthin katapultiert hat, wo sie sind: Sie schafften es, Eins zu werden. Sie lebten für ihre Kunst. Sie taten es nicht fürs Ego, sie dienten der Kunst.

Doch diese Errungenschaft ist nicht nur bei den Berühmtheiten vorzufinden. Ich beobachtete sie gestern auch beim mongolischen Straßenmusiker und vor ein paar Tagen beim Seifenblasenmann, erinnerst du dich? (Tag 5 letzter Woche)

Achtsamkeit, Demut und Respekt – und die Fähigkeit, sich seiner Tätigkeit mit Leib und Seele hinzugeben. Kurz: zu verschmelzen.

Der einzigartige Steve Vai hat in einem Interview letztes Jahr ein sehr schönes Beispiel gegeben. Er verglich den Zustand der Rückkehr zur Unschuld mit einem Kind, das an einer Blume riecht. Er sprach von dem Moment, in dem man den Duft der Blume einatmet und vollkommen verletzbar und unschuldig ist. Der Moment, in dem das Denken aufhört und nur mehr ein Gefühl da ist. Ein Sinnesreiz. Ein Genuss.

Dorthin zurückzukehren, ist mein einzig‘ Bestreben.

Schau:

Lass es uns gemeinsam versuchen! Lass uns dorthin zurückkehren, wo alles begonnen hat. Damals, als wir noch nicht urteilten, als wir noch nicht uneins waren und alles in Gut und Schlecht kategorisierten. Mit offenen Augen durch die Welt rennen, alles aufnehmen und vor Faszination und Liebe beinahe zu ersticken, das ist es, wonach ich mich sehne!

Glaubst du, können wir es schaffen? Können wir in unserem Alter, nach all dem, was wir gesehen haben, dorthin zurückkehren? Nun, da wir wissen, in was für einer Welt wir leben? Nun, da wir wissen, wozu der Mensch fähig ist?

Diese Frage hat mich die letzten zehn Jahre beinahe um den Verstand gebracht.

Doch ich sage Ja! Wir haben es verdient, glücklich zu sein!

Ich sehne mich danach! Ich sehne mich nach einer Wahrnehmung, die nicht wertend ist, und nach einem Bewusstseinszustand, in dem mein Herz bedingungslos liebt.

Dies ist mein einzig‘ Bestreben.

Lass uns versuchen, heute auf Safari im Supermarkt zu fahren, lass uns nach der Mystik in den Worten des Taxifahrers fahnden, lass uns die grauen Zweckgebäude, deren Sinn scheinbar nur darin besteht, für Depression zu sorgen, mit Ork-Festungen vergleichen! Lass uns die Magie, die sich hinter jeder Ecke verbirgt, einfach mal NICHT ignorieren. Sie ist dort. Jeden Tag. Jede Sekunde.

Sie wartet nur darauf, dass du sie erkennst und ihr ein Hallo sagst.

Sie wartet auf dich.

Martin Freeman in „Der Hobbit“.  Diese Szene zeigt, meiner Meinung nach, seine Rückverwandlung vom Kleinbürger zum Abenteuer. (Quelle: TheOneRing.net)

(Jannis Raptis, „Ansichten eines Troubadours“ Blog 2016, www.jannisraptis.com)

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