Geifer [m.], der, reg. auch das (öst., spez. Wiener Dial.: es [Geīfa]): Ausdruck d. Gefühls d. Überhöhung, Wortkleid f. nur vage definierbare, situationsabhängige Empfindung angesichts weltlicher Absurdität. Def. lt. H. DE MONGOLIA: „(ist,) mit Tränen in den Augen den Mond zu verfolgen, in der festen Überzeugung, ihn zu erreichen“ (2010).

Gut.

Geifer.

Hallo und herzlich willkommen zu Woche Nummer Vier in „AeT“! Heute wollen wir, auf das Drängen diverser Leser also, ein wenig über den Geifer sprechen.

Was ist der Geifer?

Nun, obige Definition liefert uns nur bedingt eine Erklärung. Was dir wirklich ein Bild über den Geifer verschaffen könnte, wäre dir anzuhören, wie ich das Wort im alltäglichen Sprachgebrauch verwende. Ich habe mich bemüht, die wichtigsten Beispiele herauszupicken und für dich zu erläutern. Gleich danach, werde ich ein wenig über den Geifer philosophieren.

Beginnen wir mit dem klassischsten Beispiel:

Bsp. 1.)

„Er/Sie/Es hat Geifer.“

Was sage ich damit aus? Ich sage damit eigentlich nichts anderes, als, dass das Subjekt eine gewisse „Verrücktheit“ aufweist. Etwas Besonderes, etwas Andersartiges. Eine Art Wahn, der ihn dazu antreibt, voller Überzeugung zu einer Sache zu stehen, die den meisten Leuten wohl als absurd erscheinen würde. In weiterer Folge ist jener, auf den der Geifer zutrifft, oftmals sich selbst treu, und stellt keine Massenware dar. Letzteres ist jedoch kein Kriterium, sondern nur eine häufige Gemeinsamkeit der Geiferer.

Weitere Möglichkeiten den Begriff zu verwenden, wäre etwa: Er/Sie/Es hat den Geifer, dies und jenes zu tun. Z.B.: Ein Milliardär hat den Geifer, als Präsident zu kandidieren, oder ein ergrauter Wolf hat den Geifer, freitags in die Disko zu gehen und Zwanzigjährige anzumachen.

 

Bsp. 2.)

„Er/Sie/Es geifert.“

Geifern, oder „umadum“ geifern, wie wir es oftmals verwenden, wenn wir wienerisch sprechen, wäre das passende Verb dazu. Prinzipiell sind Prä- und Suffixe jederzeit möglich, beispielsweise herausgeifern, hineingeifern, losgeifern, zugeifern, mitgeifern etc, etc.

Beispiele: Der Sautrottel steht da mit seinem Fiat Punto und geifert!

Oder: Bevor Sauron Gestalt annahm, war er eine geifernde, schwarze Masse.

Oder: Das sind dann die Sidekicks, die einfach ins Bild kommen und geifern.

Oder: Heute habe ich gegeifert. (Das wiederum inkludiert eine bevorstehende Erzählung des Geifer-Erlebnisses.)

 

Bsp. 3.)

„Im Geifer sein.“

Ja, das geht Hand in Hand mit dem vorigen Beispiel. Anstatt zu sagen „Heute habe ich gegeifert“ kann man sich genauso des Ausdrucks „Heut war ich im Geifer“ bedienen.

Hier wird stark erkennbar, dass der Geifer, wie ich später schildern werde, tatsächlich ein Bewusstseinszustand ist. So, wie wenn ich sagen würde: „Ich war in Trance“ oder „Ich war auf Drogen“, so kann ich auch sagen: „Ich war im Geifer“.

 

Bsp. 4.)

„Aus dem/einem Geifer heraus.“

Auch das ist ein häufig verwendeter Ausdruck. So, wie wenn ich sagen würde: Aus der und der Motivation heraus, so kann ich auch sagen: „Aus dem Geifer heraus“, was im Prinzip die Gleiche Bedeutung hat, mit dem Unterschied, dass die Motivation wohl kaum gerechtfertigt oder gar absurd ist. Oder: „Aus einem einfachen Geifer heraus, Punkt, Punkt, Punkt“. Oder: „Aus welchem Geifer heraus!“, wenn man sich über das Handeln einer Person wundert.

 

Bsp. 5.)

„Geifer“ als Ausdruck eines (Gefühls)zustandes oder als deskriptives Attribut

Ich denke, das ist die häufigste und einfachste Verwendung des Wortes. Ein einfaches „Geifer“ sagt oftmals mehr aus als tausend Worte. Es ist vergleichbar mit einem „Wow“ oder einem „Shit“, wobei es ganz offenkundig eine komplett andere Bedeutung hat. Wenn ich zum Beispiel einen betrunkenen Weihnachtsmann durch Ottakring geifern (!) sehe, entwischt mir durchaus ein amüsiert verwundertes: „Geifer.“ Oder wenn mein Kollege in seinem Geifer (!) komplett gegen den Rhythmus spielt, ohne dabei Time und Überzeugung zu verlieren, denk ich mir vermutlich auch insgeheim: „Geifer.“

Die Liste setzt sich fort bis in die Unendlichkeit.

 

Bsp. 6.)

Geifer als Substantiv

Ebenfalls sehr häufig verwendet wird das Wort als einfaches Nomen, indem es lediglich das betroffene Hauptwort ersetzt. Zum Beispiel: „Sieh dir diesen Geifer an!“ oder „Ich würd vorschlagen, wir treffen uns, erledigen den Geifer und reden niemals wieder darüber.“

 

Bsp.7.)

Sonstige Verwendungsarten

Da es sich bei dem Ausdruck um eine neulinguistische Erscheinung handelt, besitzen wir natürlich zahlreiche Möglichkeiten der Spielerei (!). So entstanden beispielsweise Ausdrücke, wie: Den Geifer pachten oder den Geifer herausscheißen oder auch Sich am Geifer nähren.

Gut. Soviel zur Verwendung des Wortes. Kommen wir zu ein paar konkreten Beispielen:

Beispiel a) Ein Typ, der mutterseelenallein in der Diskothek vor sich hin tanzt, kann dann als Geiferer bezeichnet werden, wenn er das z.B. wöchentlich tut und/oder dabei voller Überzeugung einen ungewöhnlichen Tanz aufführt und/oder den ganzen Abend nichts bestellt und mit niemandem redet und nach dem Tanzen wieder nach Hause geht, etc., etc. Die Möglichkeiten sind endlos. Wichtig ist vor allem, dass er dabei sein Ding dreht und all jene ausblendet, die seine Tätigkeit hinterfragen, oder sich gar über ihn lustig machen.

Beispiel b) Nehmen wir eine aufgetakelte Disko-Tussi, die wirklich keine Interessen zu besitzen scheint, außer der sorgfältigen Pflege ihres Äußeren, wobei die schwierigste Entscheidung, die sie zu treffen hat, lautet, ob ihr Vodka Redbull, auf das sie eingeladen wird, mit oder ohne Eis serviert werden soll. Tatsächlich jedoch sieht sie sich den Paten II auf Videokassette an, nachdem sie vollkommen autark in den frühen Morgenstunden nach Hause gegangen ist. Hier ist der Geifer sogar doppelt: Erstens haben wir eine Videokassette, das ist ein vollkommen überholtes Medium, also klassischer Geifer. Zweitens, sie wirkt wie ein beschränktes Flittchen, das nur auf die Blicke der Männer aus ist, im Endeffekt jedoch allein nach Hause geht, um einen Klassiker anzuschauen, der obendrein auch kein Mädchenfilm ist. Das ist Geifer. Unaussprechlicher Geifer sogar.

Beispiel c) Jannis Raptis spielt einen Privatauftritt für reiche, desinteressierte Geburtstagskinder in ihrem Garten, da er Geld verdienen muss. Anstatt alte Klassiker zu covern, die jeder kennt, singt er Lieder von fallenden Königreichen, holden Maiden und bösen Drachen, wobei er sich beim Gitarrensolo sehr ausgiebig der übermäßigen Quint bedient. Das ist auch Geifer.

Die Liste ist endlos! Es ist schwierig, darüber zu sprechen. Sehr schwierig. Denn der Geifer ist kein intellektueller Prozess.

Nun lässt sich für dich vieleicht eine entfernte Verwandtschaft zur ursprünglichen Bedeutung des Wortes Geifer erkennen: Dem Geifer, also dem zählfüßigen Speichel, der das Maul des Wolfes verlässt, wenn eben jener gerade seinem Instinkt verfallen ist. Ich persönlich habe auch die Theorie aufgestellt, dass der Geifer eines tollwütigen Tieres damit in Verbindung gebracht werden kann. Denn das Tier, welches toll ist, handelt wahnhaft, handelt manisch. Es hat den Tunnelblick, die Überzeugung, das Richtige zu tun.

Doch obwohl der Geifer oftmals mit manischem oder wahnhaftem Verhalten gleichgesetzt wird, so ist das glaube ich nur ein Zerrbild der eigentlichen Bedeutung. Ähnlich wie der Begriff Tao, ist der Begriff Geifer sehr schwer in Worte zu verpacken, ohne dabei eine subjektive Note mit einfließen zu lassen. Vielleicht ist es gerade das, was den Geifer zum Geifer macht. Die Tatsache, dass jeder seinen eigenen Weg gehen muss, dass jeder den Geifer für sich selbst definieren muss.

Was jedoch feststeht, ist die Tatsache, dass der Ausdruck Geifer als Wort völlig wertfrei verwendet wird. Man kann Freund und Feind als Geiferer bezeichnen.

Hier ist es wichtig, nochmals klarzustellen, dass der Ausdruck „Geifer“ nicht von mir stammt. Es war ein alter Freund und ehemaliger Kollege von mir, der mehr Gemeinsamkeiten mit einem Wolf, denn mit einem Menschen hatte, welcher mir dieses Wort beibrachte. Er war es auch, den ich in der Definition ganz oben zitiere: Hagoles de Mongolia.

Als er den Begriff Geifer vor weniger als zehn Jahren zum ersten Mal verwendete, begriff ich sofort, was er damit meinte. Es war auch die Art, wie er das Wort aussprach, wie er mit seinen kristallblauen Augen dreinblickte. Wie ein Wolf nämlich.

Ich begriff. Er war der Wolf. Er war das Tier, das dem Mond hinterherrennt, dabei in einer Art Trancezustand ist und sich von allem Weltlichen losgelöst hat.

Denn so viele Beispiele und Definitionen ich dir hier auch geben mag, im Endeffekt ist der Geifer nicht greifbar, nicht mittelbar. Der Geifer ist ein Bewusstseinszustand. Der Geifer ist ein Mysterium.

Während der Begründer des Geifers also das Wort in den deutschen Wortschatz pflanzte, bekamen selbstverständlich auch andere Leute davon Wind und so entwickelten sich, wenn man so will, mehrere Geifer-Kulte zur selben Zeit. Im Endeffekt muss jeder für sich selbst herausfinden, was der Geifer ist, wie und ob er diesen herbeiführen kann und wo er damit hingelangen will.

Ich kann nur für mich sprechen. Nehmen wir dieses Foto als Beispiel:

 

Geifer ist es, dass ich, anstatt den beiden Latinas auf die wohlgeformten Popöchen zu starren, stattdessen einen Dominantseptakkord Kreuz 11 für sie demonstriere – Achtung und jetzt kommt’s: mit der Überzeugung, dass sie das erlernte Wissen in Zukunft anwenden werden!

Das ist mein Geifer.

Was ist der Deine?

Ich sag’s dir: Geifer ist es, diesen Text – eine Abhandlung über den Geifer – bis zuletzt durchgelesen zu haben und das an einem Montag.

Wenn das kein Geifer ist, dann will ich verdammt sein!

Schick mir ein Selfie, wenn du willst.

Und bitte teile deine Gedanken mit mir!

Mit freundlichen Grüßen

Jannis Raptis

 

 

(Jannis Raptis, „Ansichten eines Troubadours“ Blog 2016, www.jannisraptis.com)

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