Guten Morgen!

Also gut, altgriechisch scheint nicht so Viele zu interessieren. Jetzt weiß ich’s.

Der Donnerstag beginnt trüb, äußerst trüb. Dabei höre ich Erik Satie, trinke Pfefferminztee und katapultiere mich tief ins Reich des Impressionismus.

Hier ist alles irgendwie traumbehaftet und melancholisch, aber gerade deshalb wunderschön. Wie ein Seiltänzer wandle ich auf der dünnen Brücke, die Klaviertasten und Pinselstriche für mich erschaffen.

Während du weiterliest, solltest du dieses Lied abspielen:

Es begann alles gestern, als ich mir die #Sternennacht ansah, nachdem ich der abendlichen #Caféterrasse einen Besuch abgestattet hatte. Dort, in eben jenem Café, das ich mein ganzes Leben lang besuchte, führte mich Van Gogh ein weiteres Mal aus und spendierte mir ein Glas südfranzösischen Wein.

Etwas beschwipst, beobachtete ich dann den Lauf der Sterne, von Van Goghs Zimmer in der Nervenheilanstalt Saint-Paul-de-Mausole aus, wobei weder mir noch dem Maler genau klar war, ob wir nun die Aussicht genossen oder in Erinnerungen an Holland schwelgten.

Dann begann der Tag. Vergangenheit wurde zu Gegenwart.

Alles verschwimmt.

Und das ist auch gut so.

Den #Sonnenaufgang erlebe ich allein, nüchtern und mit unschönem Keuchhusten. Ich befinde mich im Hafen von Le Havre, der Nebel leckt an meinem Fischerboot. Wenn das romantisch sein soll, dann möchte ich gar nicht wissen, wie unromantisch aussieht. Industrieanlagen und Schiffe? Ernsthaft? Der Gestank von Gülle und Hafenbecken?

Irgendwo höre ich Claude Monets Vollbart im kalten Wind rauschen. Er wirkt zufrieden.

Mir jedoch ist arschkalt.

Doch der werte Herr erbarmt sich, als ich wenig später am #Strand in Pourville lande und wärmende Sonnenstrahlen mich kitzeln. Klar, es ist immer noch leicht bewölkt, aber es handelt sich um die Art von Wolken, die ich bereits von meinen Spaziergängen auf der Donauinsel kenne. Schöne Wolken.

Wieder verschwimmen die Farben und zwängen sich zwischen die Tasten des Klaviers, was ihm eine gequält genüssliche Ganzton-Halbtonskala entlockt.

Ich hingegen weiß nicht mehr, ob ich mich noch in Pourville oder in Tahiti befinde. Spielt es überhaupt eine Rolle?

Nein, höre ich Paul Gauguin sagen, kurz bevor ich #Zwei Frauen von Tahiti erblicke. Und er hat  verdammt nochmal recht. Lange hallt sein „Nein“ noch in meinem Kopf, während ich die zwei Schönheiten mustere. Sie blicken wortlos zurück, die eine halbschüchtern, die andere ganz unverfroren, beide Brüste entblößt und ein Tablett mit Wassermelonenstücken in der Hand. Stumm trete ich an sie heran und nehme einen Bissen von der Melone.

Das Fruchtfleisch ist saftig.

Ich bin versucht, mein Gesicht erneut ins Melonentum zu vergraben, als plötzlich Édouard Manets krummer Zeigefinger sich in meinen Rücken bohrt und ich erschrocken herumfahre.

Oh, nein. Bitte kein Ärger jetzt.

Wassermelonenperlen glitzern in meinem Bart, abrupt gestoppte Lust in meinem Auge, als ich mich darauf gefasst mache, #Berthe Morisot, die urplötzlich vor mir steht, Erklärungen zu liefern.

„Ich wollte nicht“, „die Farben verschwammen“, „ich fuhr nicht nach Tahiti, Tahiti kam zu mir“, stottere ich.

Doch Berthe schweigt. Um genau zu sein, kann ich nicht einmal ihren Blick deuten. Ganz ehrlich: Wie schaut sie drein? Was ist das für ein Gesichtsausdruck?

Mir ist, bei Hermes‘ geflügeltem Schuhwerk, nicht klar, was die Kleine will.

Dankbar atme ich auf, als Manet seinen krummen Zeigefinger erneut in meine Wirbelsäule bohrt und wir uns plötzlich in einer #Bar in den Folies-Bergère befinden. Bars sind gut! Bars sind immer gut…

Ich möchte bereits nach einer der Champagnerflaschen greifen, als der Blick des Barfräuleins mich aus dem Konzept bringt.

Was stimmt nicht mit dir?, möchte ich sagen, habe aber zu viel Respekt vor Edouard und verkneife mir den Kommentar. Wos schaust so deppat?, forme ich mit den Lippen.

Doch das Fräulein schweigt. Ihr Schweigen ist fast so schrecklich wie ihr Gesichtsausdruck, der einzig von ihrer Frisur getoppt zu werden vermag.

Ich will hier weg.

Tatsächlich erhören die Götter meine Gebete und schicken mich weit fort von den Folies-Bergère. Ich gerate in den Farbenstrudel, irgendwo spielt ein Junge Pfeife, ein Mädchen liest aus seinem Buch, ein Pärchen sitzt im Café.

Ich lande hart auf einem Dielenboden. Selbst die Musik von Satie ist mit einem alterierten Akkord urplötzlich verstummt. Ich höre nur das Schaben nervöser Stiefeletten und nachdenkliches Seufzen. Beides kommt von den drei #Kartenspielern, die an einem kleinen Tisch sitzen und sich duellieren. Ein Typ steht daneben und schaut ihnen über die Schulter.

Oh Mann. Ich hasse Kartenspiele. Und noch mehr hasse ich es, Leuten dabei zuzusehen, wie sie Karten spielen.

Gibt es hier Alkohol? Gibt es hier Melonen?

Resigniert wende ich mich an Cézanne und schüttle den Kopf. Das ist nicht okay, versuche ich ihm klarzumachen, doch er ignoriert mich, fährt sich über Glatze und Bart, schnippt mit dem Finger und löst sich in Luft auf.

Da sitz ich also nun. Auf einem Dielenboden, während ich drei Typen und einem Pfeife rauchenden Schiedsrichter dabei zusehe, wie sie sich dem Kartenspiel hingeben.

Wieso muss es immer trostlos enden?

Ich will zurück zu den Melonen. Gibt es irgendwo einen Schalter, den ich betätigen kann? Paul? Paul? Monsieur Gauguin? Je suis désespéré! J’ai faim! Je veux manger les melons!

Je suis seul.

 

(Jannis Raptis, „Ansichten eines Troubadours“ Blog 2016, www.jannisraptis.com)

Hinterlasse einen Kommentar