Fortsetzung von Woche 13, Tag 1.

IV.

„Das ist ein Scherz, oder?“, sagte ich und blickte verständnislos in Lo Tiphs Gesicht.

„Ich wünschte, dem wäre so“, gab sie zur Antwort und seufzte.

„Also gut, einen Moment mal“, ich blickte zu Boden und runzelte dabei kopfschüttelnd die Stirn. „Die Batukadische Schlange, der du angehörst, befindet sich seit tausend Jahren in einer Fehde mit einer Zunft namens ‚Die Schwarze Witwe‘, der jene Typen angehörten, die mich erschießen wollten.“ Ich holte tief Luft. „Die mich erschießen wollten, weil sie der Ansicht waren, ich wäre einer von ihnen. Also ein Deserteur .“

Lo Tiph nickte.

„Was zum Arsch!“, rief ich. „Und wieso? Wieso glaubten sie das?“

„Siehst du, Gringo, und genau das ist der Punkt, der mich so besorgt“, sagte Lo Tiph und stand auf.

„Erklär ihn mir, den springenden Punkt“, forderte ich sarkastisch und warf der Laotin einen tödlichen Blick zu. „Und wenn das hier lange dauern sollte, hätte ich liebend gerne ein Glas Whisky.“

„Die Mitglieder der Schwarzen Witwe sind dafür bekannt, dass sie sich ihre Jünger auf überaus… sagen wir außergewöhnliche Art und Weise aussuchen“, erklärte mir Lo Tiph und ich hatte ein weiteres Mal an diesem von Jetlag heimgesuchten Tag das Gefühl, mich in einem Albtraum zu befinden.

„Und was hat das verdammt nochmal mit mir zu tun?“, drängte ich.

„Sehr viel. Denn das würde erklären, wieso du dich nicht daran erinnern kannst, ihnen beigetreten zu sein. Beziehungsweise, von ihnen gezeichnet worden zu sein. Ja, an den Beitritt würdest du dich vermutlich erinnern.“

„Von ihnen gezeichnet?“

„Überlieferungen erwähnen ein Zeichen, mit dem die Jünger versehen werden, lange bevor sie sich mit der Schwarzen Witwe in Verbindung setzen und dem Initiationsritus unterziehen. Ein Zeichen, das ihnen von den Beauftragten der Zunft – den sogenannten Schäfern – gegeben wird. Mithilfe dieses Zeichens können die Leute der Witwe ihre Gezeichneten mühelos ausfindig machen und kontaktieren. Und im besten Fall schließlich anwerben, weihen und zu einem Teil ihres Programmes machen.“

„Alles klar“, sagte ich resigniert und nickte überdeutlich. „Ich träume. Das ist ein Scherz. Ich bin in einem B-Movie aufgewacht. Ja? Bist du real? Nein, nein!“

„Ruhe, Gringo!“, zischte Lo Tiph schneidend. „Hör jetzt zu!“

Ich schwieg, verschränkte die Arme vor der Brust und reckte Lo Tiph trotzig das Kinn entgegen.

„Ich vermute, dass du mit diesem Zeichen versehen wurdest, jedoch nicht sensibel genug warst, um auf die Signale zu reagieren, die dich schließlich in Richtung der Witwe und deiner Initiation geführt hätten. Das muss die Jungs stutzig gemacht haben. Und mit den schwarzen Schafen machten sie seit jeher kurzen Prozess.“

„Gut, nehmen wir mal an, diese Freakshow findet tatsächlich statt“, sagte ich und machte eine abwehrende Geste. „Wieso wollte die Witwe mich rekrutieren? Wieso war ich zu blöd, um die… Signale zu hören? Und wieso wusstest du, dass ich getötet werden würde und warst zur Stelle, um mich zu retten?“

„Gut! Gut! Gringo scheint langsam zu Verstand zu kommen“, lobte mich die Laotin und lächelte grimmig. „Das sind die richtigen Fragen!“

„Danke“, sagte ich trocken. „Manchmal treffe ich den Nagel auf den Kopf.“

„Wieso die Witwe dich für sich gewinnen wollte, kann ich dir nicht sagen. Die Fühler der Spinne reichen jedoch weit. Wenn sie einen neuen Diener will, dann bekommt sie ihn auch. Oder sie tötet ihn, wenn er nicht gut genug ist.“ Lo Tiph fuhr sich mit der Hand durch das schwarze, aalglatte Haar. „Warum du zu taub oder blind warst, um die Signale zu erhalten, die die Gezeichneten heimsuchen, weiß ich auch nicht. Das könnte an deinem Alkoholismus liegen, an deinem Hang, alles zu ficken, was zwei Beine hat und an deinem primitiven spirituellen Niveau.“

„Danke nochmal!“, sagte ich und nickte meiner fremden Retterin anerkennend zu.

„Aber sicher bin ich mir nicht“, fuhr Lo Tiph nachdenklich fort. „Manchmal sind die Zaegs auch defekt oder inkompatibel mit ihrem menschlichen Träger.“

„Die Zaegs?“

„Gleich“, Lo Tiph gebot mir zu schweigen, „und was deine dritte Frage betrifft: Mein Aufgabenbereich innerhalb der Batukadischen Schlange liegt derzeit im Spionieren. Ich kundschafte die Schäfer der Witwe aus, um die Rekrutierung potenzieller, zu mächtiger Anhänger zu unterbinden.“

„Und so einer bin ich?“, fragte ich ungläubig.

„Nein, definitiv nicht“, bestätigte Lo Tiph. „Du bist ein versoffener Tollpatsch, der niemals zum Assassinen taugen würde.“

„Wieso hast du mich dann gerettet?“, fragte ich und zwinkerte ihr zu.

„Hatte ich denn eine Wahl?“ Lo Tiph hob abwehrend die Hände.

„Dann hast du mich aus reiner Nächstenliebe gerettet?“

„Nun.“ Sie zögerte. Ich schien es tatsächlich geschafft zu haben, sie in Verlegenheit zu bringen. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass ich lächelte.

„Zugegeben“, erklärte Lo Tiph, „dreißig Mann der Witwe, nur um dich auszuschalten? Das erschien mir irgendwie interessant. Deshalb nahm ich dich mit.“

„Und jetzt?“

„Jetzt wirst du gemustert. Ich erwähnte vorher die Zaegs.“

„Genau, was hat es damit auf sich?“

„Unterbrich mich nicht, Gringo!“ die Laotin warf mir einen vernichtenden Blick zu und ich kam nicht umhin, eine kleine Woge der Erregung zu empfinden.

„Gut, ich höre“, sagte ich versöhnlich und ein wenig geil.

„Das Zaeg ist das sogenannte Zeichen, das einem die Schäfer einpflanzen. Eine Art Transmitter, der den Drahtziehern der Witwe ermöglicht, ihre angehenden Jünger rund um den Globus zu kontaktieren und – wenn die Zeit reif ist – zu sich zu locken oder eben, wenn die Rekruten nicht kooperieren, deren Standort zu identifizieren und sie auszuschalten.“

„Das heißt, mir wurde so ein Ding eingepflanzt?“

„Wie gesagt: Die Schäfer haben ihre Methoden. Es ist mittlerweile bewiesen, dass jene, denen ein Zaeg eingeführt wird, nichts davon mitbekommen. Jünger erwähnen, dass sie ihren Weg zur Initiation in einer Art Trance durchlebten, was dem Ganzen einen Hauch von Schicksal und Bestimmung verleiht. Der übliche Stuss, den die Leute brauchen, um an etwas zu glauben.“

Eine Weile brüteten wir beide schweigsam  vor uns hin. Dann wagte ich die Frage: „Und wo hab ich dieses…“, ich machte eine unbestimmte Geste, „Zaeg?“

Lo Tiph warf mir einen vielsagenden Blick zu.

Wieder vergingen einige Sekunden der Stille. Dann überkam es mich wie ein Kälteschauer.

„Oh, komm schon!“, rief ich.

„Wie ich schon sagte: Die Methoden der Schwarzen Witwe sind etwas außergewöhnlich.“

„Also gut“, sagte ich, atmete tief durch und stand auf. „Bringen wir es hinter uns.“

„Was?“, rief Lo Tiph und wich zurück.

„Du sagtest, ich bin hier, um gemustert zu werden. Bitte sehr.“

„Das hättest du wohl gern, Gringo!“, rief Lo Tiph verstört und machte mit dem Zeigefinger eine verneinende Geste. „Nicht ich werde in deinen Därmen wühlen. Du kriegst jetzt etwas zu essen, zu trinken, schläfst dich aus und wenn du wieder wach bist, bekommst du einen Einlauf. Danach bringen wir dich ins Labor. Und danach werden wir hoffentlich weitere Antworten erhalten.“

„Alles klar“, flüsterte ich, schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. „Alles klar.“

 

 

(Jannis Raptis, „Ansichten eines Troubadours“ Blog 2017, www.jannisraptis.com)

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