Fortsetzung von Woche 11, Tag 3.

III.

Als die Laoten mir freundlich, aber bestimmt die Augen verbanden, kam ich mir vor wie in einem schlecht inszenierten Actionfilm.

„Geheimversteck“, hatten sie mir auf gebrochenem Englisch erklärt. „Bauch von Phat That Luang.“

Wir stiegen aus dem Jeep aus. Ich fühlte mich wie ein unbrauchbares Gepäckstück, als sie mich mit sich führten und mir bedeuteten, „einfach einen Fuß vor den anderen zu setzen“. Natürlich. Weil die Welt ja so einfach war!

Ich begriff die ganzheitliche Bedeutung des Ausdruckes „verschleppt werden“.

Verschleppt von der laotischen Mafia, entführt von einer hollywoodreifen Kriegerin, die mich verlassen hatte.

Erklärungen? Null.

Fokus? Maximal eins von fünf.

Da die morgendliche Sonne sich durch meine Augenbinde fraß, ging ich davon aus, dass wir einen nichtüberdachten Platz durchquerten. Meine Ausgeh-Cowboystiefel, die ich noch immer anhatte, klackten auf einem, wie ich mir ausmalte, gepflasterten Steinboden.

Ich schwitzte, ich stank, ich war durstig.

Und ich wollte mich hinlegen, einschlafen und anschließend wieder in meinem schäbigen Hotelzimmer in Guadalajara aufwachen. Mich leicht verkatert, aber durchaus ausgeschlafen räkeln, Kaffee kochen, mich vor die Schreibmaschine setzen und meinen Bericht fortsetzen. Im Anschluss in die Bar gehen und mit einer schönen Mexikanerin flirten, die auf den verhärmten Gringo-Journalisten Mitte Dreißig stand; auf sein schütteres Haar, seinen leicht ergrauten Dreitagesbart und seine Whiskyfahne.

Ich wollte mein Leben wieder.

Doch einstweilen sollte dies nicht der Fall sein.

„Bauch von Phat That Luang“, hörte ich meine Entführer wieder mit schwerem Akzent sagen.

Sie sprachen es mit einer, wie mir mittlerweile auffiel, gewissen Ehrfurcht aus. Fast so, als wären sie eine Spezies von Echsenmenschen, die mich entführt hatte und nun in ihren heiligen Tempel brachte, um mich der göttlichen Riesenschlange zu opfern.

„Wer ist Phat That Luang?“, fragte ich.

Sie blieben mir eine Antwort schuldig. Stattdessen halfen sie mir durch einen engen Durchgang. Unvermittelt spürte ich die Abwesenheit der Sonnenstrahlen, fühlte die Enge, die Kälte und Feuchtigkeit. Ich meinte sogar, die Dunkelheit zu spüren.

Es roch nach Moder und  verwittertem Gestein.

Ich begriff. Die Laoten führten mich ins Innere eines Gebäudes. Das war mit dem Bauch gemeint. Ich konzentrierte mich auf meine Schritte, bemerkte, dass es steil bergab ging. Ich bemerkte Anflüge eines klaustrophobischen Anfalles. Doch die Aufregung war zu groß, um in Panik zu geraten.

Nun, da mein Leben in den Händen Fremder lag, wurde mir plötzlich klar, wie sehr ich daran hing. Ich wollte leben. Ich wollte, dass das alles bald vorbei war.

Wie lange wir marschierten, vermochte ich im Nachhinein nicht zu sagen. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Tatsache war: Wir stiegen in eine Art Aufzug, der sich ruckartig und auf äußerst unschöne Weise in Bewegung setzte und gut fünf Minuten lang nach – so fühlte es sich zumindest an – unten fuhr.

Eine Horrorvorstellung sondergleichen.

Und dennoch; ich hätte nicht in Panik geraten können. Ich fürchtete weder Dunkelheit noch Enge. Ich fürchtete nur mehr um mein Leben.

Doch hätten die Fremden mich nicht längst gekillt, wenn sie mich hätten tot sehen wollen? Hätte Lo Tiph mich nicht einfach in der Bar sterben lassen? Hätte sie mich nicht spätestens im Jet erschießen können?

Ich wusste nicht, was schlimmer war: Die Angst oder das abscheuliche Gefühl des Nichtwissens.

Selten hatte ich mich so unbrauchbar und ausgeliefert gefühlt. Auch, als wir den ächzenden Aufzug verließen und mir endlich die Augenbinde abgenommen wurde, änderte sich meine Stimmung nicht.

Wir hatten eine kreisrunde Halle betreten, von der zahlreiche Türen in Gänge und Nebenhallen ausgingen und die so stark mit künstlichem Licht beleuchtet wurde, dass mir die Augen schmerzten. Boden, Wände und Decke bestanden aus silbernem Stahl. Ich fühlte mich ein wenig wie auf einer Raumstation.

Oder wie in der Kulisse eines Alien-Filmes.

Es herrschte ausgesprochen reges Treiben und doch konnte ich nicht ganz nachvollziehen, was die Anwesenden trieben. Manche unterhielten sich angeregt, andere werkelten an einem langen Tisch vor sich hin – lagen dort Waffen? – und wieder andere eilten in blindem Eifer ihren Tätigkeiten nach, von denen ich nichts mitbekam.

Das Ganze hatte etwas von einem Science-Fiction-Basar.

„Willkommen“, sagten die Laoten. Einer von ihnen lächelte sogar. Allmählich überkam mich das Gefühl, dass diese Kerle mich mochten. Sie waren freundlich und hätte ich mich nicht so elend gefühlt, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass sie mich gut behandelt hatten.

Für Entführer. Und asiatische Mafiosi.

„Willkommen im Geheimversteck“, sagte urplötzlich eine Frauenstimme auf akzentfreiem Englisch.

Ich fuhr herum und blickte in Lo Tiphs Gesicht, die gerade auf mich zukam. Ihre Stiefel klackten geräuschvoll, als sie von einer kleinen Rampe sprang. Sie breitete die Arme zum Gruß aus. Unter ihre Augen hatten sich dunkle Ringe genistet.

Sie sah todmüde aus.

„Danke“, hauchte ich apathisch.

Sie sagte etwas auf der Sprache von Laos, dann bedeutete sie mir, ihr zu folgen.

Das tat ich natürlich auch. Hatte ich denn eine Wahl?

Außerdem musste ich mir eingestehen, dass ein tief verborgener Teil in mir, sich freute, sie wiederzusehen. Sie mochte mir diesen Schlamassel eingebrockt haben, aber irgendwie war sie doch die Einzige, zu der ich ein – möglicherweise gestörtes, aber zumindest vorhandenes – Verhältnis hatte.

Sie verstand meine Sprache, sie kannte Guadalajara, sie hatte mich gerettet.

„Du bist zurück“, bemerkte ich trocken, als wir in einen der Nebengänge bogen. Ich kam mir vor wie ein zickiges Mädchen, das mit Andeutungen darauf aufmerksam machen wollte, dass es beleidigt war.

„Gut beobachtet“, sagte Lo Tiph knapp.

Etwas an der Art, wie sie das sagte und mich anblickte, machte mich nervös. Sie wirkte besorgt und seltsam erschöpft. Auch hätte ich schwören können, dass die Blutflecken auf ihrer Lederjacke sich verdoppelt hatten.

Aus diesem Frauenzimmer wurde ich nicht schlau.

„Und?“, fragte ich vorsichtig, als wir eine kleine Kammer betraten, die entfernt an eine Gefängniszelle erinnerte. „Wirst du mir jetzt erklären, was hier vor sich geht?“

Sie schluckte. Dann nickte sie stumm und schloss die Türe.

„Also gut, hör zu, Gringo…“

Fortsetzung folgt

 

(Jannis Raptis, „Ansichten eines Troubadours“ Blog 2017, www.jannisraptis.com)

Hinterlasse einen Kommentar