Thirsty Thursday:

A term normally found on college campuses, the title became popular when many people did not have early morning classes on Fridays, allowing them to drink and party on Thursday night. Every Thursday of every week during the semester is Thirsty Thursday; there is no specific or special date for it.  (Definition aus Urban Dictionary)

Tja. Wir beide wissen, was das bedeutet. Ein herzliches Prost an alle, die Wasser trinken, wenn ich mich selbst zitieren darf.

Aber ernsthaft: Der Donnerstag war seit jeher einer meiner Lieblingstage. Das Schöne ist, man kann ausgehen – im Sinne von Ausgehen – und man stößt weder auf das Chaos des Wochenendes noch auf die Tristesse, die unter der Woche herrscht.

Donnerstag ist meiner Ansicht nach der coolere Freitag, oder gar der emanzipierte Samstag.

Am Donnerstag passieren die Eskapaden.

Am Donnerstag rinnt einem der Geifer aus der Goschen.

Am Donnerstag erfolgt die totale Ichauflösung.

Am Donnerstag vergesse ich meinen Namen.

Am Donnerstag möchte ich nicht nach Hause gehen.

Am Donnerstag pfeif ich La Paloma und verbiege dabei die Gitterstäbe der Konvention.

Am Donnerstag zahl ich mit Kreditkarte.

Am Donnerstag verstoße ich gegen die Zehn Gebote.

Am Donnerstag retweete ich.

Am Donnerstag sage ich mindestens zwei Mal „Ich liebe dich“ zu mindestens vier Personen.

Am Donnerstag lese ich Cicero.

Am Donnerstag erfolgt die automatische Tastensperre.

Am Donnerstag küsse ich mit Zunge.

Am Donnerstag steigt das Wachstum exponentiell.

Genug, Professor!

Ich MUSS mich entschuldigen. Der Ackergaul ging mit mir durch. Sag mir, Liebste/Liebster: Was hast du heute vor?

Purer Kubismus? Eskapismus? Surrealismus?

Machen wir den Donnerstag zum Donnersteg? Berichte mir von deinen Plänen, ganz gleich in welcher Stadt du dich gerade aufhältst.

Ich für mein Teil, werde mich heute in die New Yorker Jazzszene stürzen, viel zu teuren Whisky trinken und dabei selbstvergessen den Melodien lauschen, um zuletzt in ein gelbes Taxi zu steigen und allein nach Hause zu fahren.

Rock’n’Roll, Baby.

Ich meinte: Let’s Jazz! Bist du ebenso wie ich der Ansicht, dass sich kaum eine Musikrichtung besser dazu eignet, sich selbst zu vergessen und dabei die Konvention auszulachen?

Ich habe viel Jazz gehört, es sogar bis zum bitteren Abschluss studiert, und wenngleich ich mich schlussendlich entschieden habe Singer/Songwriter zu werden, empfinde ich tiefe Liebe für diese Musikrichtung.

Die Sache ist komplex. Und außerordentlich interessant.

Fakt zum Tag: Am 3. November 2002 macht Popstar Robbie Williams den bisher größten Plattenvertrag der Musikgeschichte. 80 Millionen Pfund dafür, dass er acht Jahre lang jährlich ein 15-Track-Album (inkl. 3-5 Singles) produziert.

Da fällt mir der alte Witz ein, den wir Musiker uns immer wieder erzählen, obwohl er schon lange nicht mehr lustig ist: Was ist der Unterschied zwischen einem Jazzmusiker und einem Rockmusiker?

Genau. Der Jazzer spielt dreitausend Akkorde vor drei Leuten, der Rocker spielt drei Akkorde vor dreitausend Leuten.

Haha. Sehr witzig! Da lacht die Koralle und freut sich!

img_0539

2:43 AM – Irgendwo in Greenwich Village

Ich hänge an der Theke des Jazzclubs, das Whiskyglas auf eine bestimmte Weise haltend, so, wie die coolen Jungs es in Hollywood tun, weißt du. Dabei benutzen sie nur Daumen, Zeige- und Mittelfinger und sie halten das Glas irgendwie locker, fast so, als würden sie es jede Sekunde fallen lassen. So tue ich es auch und tauche ein in das Kaleidoskop aus Farben und Klängen.

Hier, im Schmelztiegel, hier, wo der Wahnsinn begann, pulsieren nach wie vor Wände und Dielen unter den geschwürlastigen Alterationen der Trompeten! Hier klimpern die schwarzen und die weißen Tasten in Schiss-Major und es klingt immer noch geil! Hier geifern sich die Trombonen mühelos ihren Weg durch Konvention und Sauberkeit und werden dabei beklatscht.

Das zittrige Ces löchert mich von allen Seiten, während sich die Decke des Jazzkellers in ein Farbenmeer verwandelt und dabei Bill Evans‘ Hornbrille entblößt. Eine Hündin steigt aus dem Höllentor, das sich zwischen den Barhockern geöffnet hat, und kotzt mir eine blaue Masse vor die Füße, wobei der karge Klang von Miles Davis zu mir dringt. Im selben Moment erbebt die Bar, als die Schritte eines Giganten auf sich aufmerksam machen und John Coltranes unkontrollierter Redeschwall mich zu Boden schleudert. Ich lande hart auf dem abgeschabten Holz eines Kontrabasses, der sein Eigenleben entwickelt hat. Kubismus pur!

Ein Tornado aus chromatic approaches umfängt mich, die Spannung steigt, irgendwo erkenne ich noch eine Dominante, dann bettet mich endlich ein zaghafter, jedoch durchaus solider Major-Akkord in seine weichen Busen. Doch nein! Ich wurde betrogen! Die Palisaden des Modal Interchange verleihen mir einen Stromschlag. Was für eine famose Tarnung!

Wie konnte ich nur darauf reinfallen! Doch zunächst heißt es: Rennen. Denn die Schergen des Kreuz Fünf, Kreuz Neun Dominantseptakkordes sind mir dicht auf den Fersen und ihre Speere blitzen im spärlichen Licht der Spelunke.

Zabajapampugi ! Paiapam – PEP! Pasuga!

Und noch ein Kick auf die „Vier und“ VOLLE WÄSCH in meine Goschen, dass ich vom Barhocker falle.

Das – DAS ist es, wonach ich mich sehne! Ihr Trompeter mit euren geifernden Kiefern, ihr Saxophonisten mit euren Saugnäpfen, ihr Posaunisten mit euren feinhaarigen Fühlern, ihr wutentbrannten Pianisten, Bassisten mit euren Sakkos und eurem Eigenleben: Füllt dies leere Haus mit Klängen! Füllt diese gemarterte Seele mit eurem unaussprechlichen Talent!

Danke. Danke!

Ich leere mein Whiskyglas in einem Zug. Dabei sehe ich aus wie der Protagonist aus einem Hollywoodfilm. Das ist ja auch der Sinn des Whiskytrinkens. Oder?

Meine Lippen verfangen sich in ein halbherziges Geplänkel mit der Fremden zu meiner Linken, bevor ich das Trinkgeld auf den Tresen knalle, mir durch den Schnurrbart fahre und eine knappe Abschiedsformel murmle. Dann wanke ich, getrieben, einem gehetzten Tier ähnlich, aus dem Laden.

Allein.

Regen umfängt mich. Ich stolpere auf die Straße. Beinahe überfährt mich ein gelbes Taxi.

„Taxeee! Taxeee!“, rufe ich.

Ich bebe. Mein Atem besteht nur mehr aus verminderten Arpeggios. Mein Puls schlägt im Triolenfeeling. Mein Blick ähnelt den Notenköpfen aus dem Realbook. Mein Atem riecht nach Whisky, Freiheit, Einsamkeit, Dankbarkeit und Mixolydisch Kreuz Elf.

Passt.

Ich bin allein. Und das ist gut so.

Stumm steige ich ins Taxi. „Eighty eight“, höre ich mich sagen. Gottseidank ist das Radio ausgeschaltet.

Während der spätnächtliche Regen an die Scheiben trommelt, fallen mir die Augen zu und ich gleite sanft in Morpheus Arme.

 

(Jannis Raptis, „Ansichten eines Troubadours“ Blog 2016, www.jannisraptis.com)

Merken

Hinterlasse einen Kommentar