Fortsetzung von Woche 16, Tag 3.

V.

„Wie geht’s dir, Gringo?“

Noch ein wenig benommen von der Vollnarkose, blinzelte ich und erkannte Lo Tiphs Gesicht. Die Laotin schenkte mir eines ihrer seltenen Lächeln. Sie sah gut aus. Wäre ich ein betrunkener Journalist in Guadalajara gewesen und hätte ich sie an der Bar lehnen gesehen; ich hätte ihr definitiv einen ausgegeben.

„Lass mich nachdenken“, brummte ich und atmete tief durch. „Ich hatte gerade ein Metallrohr in meinem Rektum und werde von einer Zunft namens ‚Die Schwarze Witwe’ verfolgt. Also ich denke… Ich denke, es ging mir nie besser.“

„Spar dir deinen Sarkasmus, wir haben zu tun“, sagte Lo Tiph und wurde plötzlich ernst.

Ich richtete mich langsam auf und sah sie fragend an. Die Laotin streckte die Hand aus und reichte mir eine durchsichtige Plastikhülle.

„Das Zaeg“, sagte sie knapp, als wäre damit alles erklärt.

Vorsichtig nahm ich das Ding entgegen und stellte fest, dass es sich bei dem „Zaeg“ um ein murmelähnliches, metallenes Etwas handelte, von dem acht kleine Drähte ausgingen. Das Ganze hatte entfernt etwas von einer Metallspinne.

„Und dieses Ding“, ich zögerte, „dieses Ding… war…?“

„In deinem Arsch, ja.“

Betreten blickte ich zu Boden und schluckte.

„Hiermit haben wir den Beweis. Du warst gezeichnet“, fuhr Lo Tiph lässig fort und schenkte mir ein Glas Wasser ein. „Die Schwarze Witwe hatte dich angeworben. Und du hast die Signale nicht erhalten.“

„Das ist der Grund, wieso sie mich erschießen wollten?“

„Ganz genau. Viel interessanter ist jetzt allerdings: Wieso sandte die Witwe dreißig ihrer besten Männer aus? Und wieso warst du immun gegen das Zaeg?“

„Ganz genau das beschäftigt auch mich“, erklang eine Männerstimme.

Ich fuhr herum und sah einen älteren Herrn in die grell beleuchtete Metallzelle eintreten. Er trug einen weißen Kittel und Sportschuhe, was mich ein wenig an eine Faschingsfeier erinnerte. Um seinen Hals baumelte ein Stethoskop.

„Darf ich vorstellen, Gringo“, sagte Lo Tiph lächelnd, „das ist Doktor Aris Kondopoulos.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte der Arzt und reichte mir die Hand.

Er trug eine dicke Hornbrille. Haar und Bart waren schneeweiß und doch schien er nicht älter als fünfundsechzig Jahre alt zu sein.

„Ich denke, nachdem ich bereits Bekanntschaft mit ihrem Anus machte, wäre es etwas pietätlos mich nicht persönlich vorzustellen.“ Er zwinkerte mir freundschaftlich zu.

„Oh, Mann“, brummte ich nur und sah Lo Tiph kopfschüttelnd an, die mich mit einem amüsierten Strahlen in den Augen anblickte.

„Diese kleine Kugel“, sagte Kondopoulos mit einem unverkennbar griechischen Akzent, „ist nämlich keine Bagatelle. Sie misst gut dreiundsiebzig Frames und ist magnetisch geladen. Das habe ich bislang sehr selten erlebt. Wir sprechen hier von einem Zaeg, der einen ausgewachsenen Elefanten umhauen würde.“

Ich nickte nachdenklich und trank einen Schluck Wasser.

„Aber Herr Doktor“, begann ich.

„Nennen Sie mich Aris“, unterbrach mich der Ältere und machte eine beschwichtigende Geste.

„Also gut. Aris.“ Ich versuchte mich zu sammeln. „Was bedeutet das alles jetzt?“

„Es bedeutet, Herr… Wie heißen Sie überhaupt?“

„Taylor. John Taylor.“

„Es bedeutet, Herr Taylor, dass Sie außerordentlich hohe Resistenzen aufweisen. Das muss die Witwe stutzig gemacht haben. Und all Jene, die nicht ihrem Ruf folgen, werden natürlich ausgelöscht. Alles andere wäre zu gefährlich. Sie hatten Glück, da Tiphanie Sie gerettet hat.“

„Soso“, sagte ich langsam. „Tiphanie also hat mich gerettet.“ Ich blickte die Laotin vielsagend an und kam nicht umhin, sie ein weiteres Mal anziehend zu finden.

„Wir müssen nun herausfinden, was es mit dieser Situation auf sich hat, Herr Taylor. Ich hoffe, Sie verzeihen unser leicht stürmisches Auftreten, aber ich versichere Ihnen, sobald wir Ihnen garantieren können, dass Sie in Sicherheit sind, werden wir Sie entlassen und zurück nach Guadalajara fliegen. Stammen Sie aus Mexiko?“

„Ich bin Amerikaner.“

„Gut, denn so sehen Sie auch aus.“ Kondopoulos lachte. „Wie auch immer! Sie können sich hier natürlich umsehen und unsere Gastfreundschaft genießen. Zugegeben, die Neonlichter und Stahlwände machen das Geheimversteck der Gilde ein wenig… gewöhnungsbedürftig. Aber Sie sehen nicht aus wie ein Mann, der gerne jammert.“

Lo Tiph lachte.

„Zumindest haben Sie nicht gejammert, als ich in Ihrem Rektum herumstocherte“, sagte Kndopoulos und lachte auch seinerseits.

„Oh, Jesus, bitte hilf mir“, knurrte ich und trank mein Glas aus. „Ich hätte jetzt liebend gerne einen Kaffee und danach einen Raum mit W-Lan. Lässt sich das einrichten?“

„Tiph, du kümmerst dich um diesen Burschen, ich muss zurück ins Labor“, sagte der Arzt, zwinkerte mir noch ein Mal zu und verließ das Zimmer.

Eine Weile sah ich die Laotin herausfordernd an. Dann sagte ich: „Du hast gehört, was der Herr Doktor gesagt hat: Kümmere dich um diesen Burschen. Und man muss immer tun, was der Doktor sagt.“

Lo Tiph rollte mit den Augen. „Ach leck mich doch“, knurrte sie und half mir aus dem Bett. „Komm, wir holen dir jetzt einen Kaffee.“

 

(Jannis Raptis, „Ansichten eines Troubadours“ Blog 2017, www.jannisraptis.com)

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